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Was ist Schematherapie?

Die Schematherapie geht davon aus, dass viele Störungen entstehen, nachdem in der Lebensgeschichte (und hier überwiegend in Kindheit und Jugend) zentrale Bedürfnisse (z.B. nach Bindung, Autonomie oder realistischen Grenzen) nicht erfüllt wurden.

Unter solchen Lernbedingungen, die auf Veranlagungsfaktoren treffen, entstehen komplexe dysfunktionale mentale Strukturen. Diese beinhalten Verhaltensgewohnheiten, Emotionen, Kognitionen, Einstellungen, Gedanken, Erinnerungen, Wahrnehmungen, interpersonelle Beziehungsmuster und wurden von Young, Klosko und Weishaar (2003) heuristisch in 18 sogenannte Schemata unterteilt. (Arntz e.a. (2021) fügte drei weitere Schemata hinzu.) Jedes Schema (z.B. das der „Unzulänglichkeit“ oder der „unerbittlichen Standards“ oder das der der kürzlich neuverfassten „Unfairness“) kann sich, je nach Situation, in verschiedenen Ausdrucksweisen zeigen. Diese werden Modi genannt.

  • Im kindlichen Modus werden altbekannte, leidvolle Emotionen aktualisiert (z.B. Angst, Einsamkeit, Verletzlichkeit u.Ä.).
  • Im unerbittlich fordernden oder strafenden Elternmodus sind „alte“ abwertende, strafende, unerbittlich antreibende Selbstbewertungen subsummiert (z.B. „du bist nichts wert“, „sorge dich ausschließlich um Andere“ etc.).
  • Im Bewältigungsmodus versucht die Person, die Aktualisierung dieser negativ erlebten Emotionen zu vermeiden, indem sie ungünstige Verhaltensmuster einsetzt (z.B. Vermeiden, Überkompensieren, Erdulden etc.).

In der Behandlung werden die Modi gemeinsam in einer Fallkonzeption identifiziert und insbesondere in Rollenspielen (sog. Stuhldialogen) und Imaginationen auf Dysfunktionalität geprüft sowie unmittelbar ein heilsamer, neuer Umgang damit entwickelt, erprobt und eingeübt. Heilsame innere Stimmen, wie z.B. Selbstermutigungen, werden dem Modus des sogenannten „gesunden Erwachsenen“ zugeordnet (vgl. Jacob & Arntz, 2013b).


Beispiel

Frau H., 25 Jahre, ist eine ausgesprochen leistungsorientierte und fleißige junge Frau, die hart gegen sich und andere ist. Ausgelöst durch Leistungssituationen werden aufgrund ihres Schemas „unerbittliche Standards“ im Elternmodus innere antreibende Verbalisationen („geht nicht, gibt’s nicht“) aktiviert. Das durch diese inneren Stimmen hervorgerufene Grundgefühl im „Kindmodus“ ist Angst vor Abwertung und vor dem Verlassenwerden. Als Coping-Strategie (Bewältigungsmodus), um die aktualisierten Gefühle nicht spüren zu müssen, greift sie überwiegend auf perfektionistisches Verhalten zurück (alles richtig machen, um nicht „geschimpft zu werden“, sehr viel arbeiten und sich aufopfern für Ihre Umwelt) oder auf gelegentliches Suchtverhalten, wie Selbstberuhigung durch Essen und soziale Medien. In der schematherapeutischen Arbeit werden diese dysfunktionalen Modi identifiziert und unter emotionaler Aktivierung im Rollenspiel, in der Imagination oder mit kognitiven Methoden verändert.

Die unter emotionaler Aktivierung erfolgten Veränderungen der dysfunktionalen Modi werden in der Schematherapie durch kognitive Arbeit und Hausaufgaben unterstützt. Besondere Relevanz wird im therapeutischen Geschehen weiterhin der komplementären therapeutischen Haltung (limited reparenting) zugeschrieben.

In der Therapie war es für Frau H. wesentlich, die verschiedenen Modi in ihrer biographischen Entstehung zu verstehen. In einer diagnostischen Imagination konnte nachvollzogen werden, dass der narzisstische Vater die sportlich überlegene Schwester bevorzugte und Frau H. als junges Mädchen bei kleinsten schulischen Misserfolgen entwertete. Das Verständnis für die verschiedenen Anteile und die Validierung ihrer biographischen Entstehung sowie die Beziehungsgestaltung in der SE entsprechend ihrer kindlichen Grundbedürfnisse (gesehen und angenommen, wertgeschätzt zu werden) gaben ihr die Sicherheit, im weiteren Verlauf der SE im Stuhldialog entlastende, befreiende und gesündere innere Stimmen (im gesunden Erwachsenenmodus) zu entwickeln und zu erproben.

Charakteristisch für die Schematherapie sind also:

  • ein hoher biographischer Bezug und die Arbeit mit inneren Anteilen die ausgeprägte emotionale Aktivierung
  • besondere Betonung der liebevollen Beziehung auch in der Konfrontation
  • die Betrachtung der „Bewältigungsmodi“ genannten dysfunktionalen Coping Stile und Abwehr (z.B. Vermeidung, Überanpassung oder dysfunktionale Kompensation), welche oft die Kommunikation behindern, die Therapie blockieren und/oder selbst schon zum Problem geworden sind (z.B. Sucht).

Die Anwendung der Schematherapie fokussierte zunächst Persönlichkeitsstörungen mit dem Schwerpunkt Borderline und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Hierfür liegen bisher auch positive Wirkungsnachweise aus randomisiert-kontrollierten Studien vor (Übersichten in Jacob & Arntz, 2013a; Arntz, 2012). Mittlerweile wird Schematherapie auch für chronische Achse-I-Störungen getestet, z.B. chronische Depressionen oder Zwangsstörungen. Hier existieren erste positive Erfahrungen aus Pilotstudien (s. entsprechende Beiträge in van Vreeswijk, Broersen & Nadort, 2012) Dabei ist der besondere Verdienst der Schematherapie, Inhalte anderer Therapieverfahren in die Verhaltenstherapie zu integrieren. Schematherapie erweitert die Verhaltenstherapie um systemische und humanistische Aspekte wie Arbeit mit inneren Anteilen, therapeutische Haltung, Selbstheilungsgedanke, Imagination und durch psychoanalytische Betrachtungsweisen wie Arbeit mit der Abwehr, Beziehungsarbeit.

Entnommen (und leicht modifiziert) aus Beth, W., Jacob, G.; Ullrich, C. (2016) Schematherapie in der VT-Selbsterfahrung. S.225f. in: Mösler et al., Der Blick auf sich selbst. Selbsterfahrung in der Psychotherapie. S.223-252. Tübingen. Psychotherapieverlag.

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